Zuchtwertschätzung bei der Honigbiene
Beebreed-Programm
Zuchtwert
Was ist ein Zuchtwert?
Der Zuchtwert gibt für ein bestimmtes Merkmal an, wie wertvoll ein Tier für die Zucht ist. Bezüglich der Honigleistung, dem Verhalten oder der Varroatoleranz etc. gibt es zwischen den Völkern deutliche Unterschiede. Diese Unterschiede werden aber, in Abhängigkeit von der Erblichkeit des Merkmals, zu einem sehr großen Anteil durch Umwelteinflüsse hervorgerufen.
Der Zuchtwert eines Volkes gibt nun die Unterschiede an, die auf die Qualität unterschiedlicher Erbanlagen zurückzuführen sind. Nur erbliche Unterschiede sind für die Auswahl von Zuchtvölkern von Bedeutung, denn nur diese (d. h. bessere oder schlechtere Erbanlagen) werden an die Nachkommen weitergegeben.
Bei der Zuchtwertschätzung werden erstens die Umwelteinflüsse auf den verschiedenen Ständen und das Inzuchtniveau der Völker berücksichtigt und darüber hinaus die Prüfergebnisse aller verwandten Völker zur Abschätzung des genetischen Wertes verwendet. Jedes Volk ist Informant für verwandte Völker und profitiert von allen Prüfergebnissen verwandter Völker bei der Berechnung seines Zuchtwertes.
Ab 1997 wurden die Zuchtwerte in Prozent ausgedrückt. Als Bezugsbasis wird der Durchschnitt der gemessenen Leistungs- bzw. Verhaltensdaten und der Zuchtwerte für das jeweilige Merkmal der letzten fünf Jahre gewählt (gleitende Basis). Durch die Darstellung der Zuchtwerte in Prozent ist es viel einfacher möglich, die genetische Über- oder Unterlegenheit der Völker verständlich zu machen.
Der Vergleich zwischen den Merkmalen wurde zusätzlich noch erleichtert, indem die unterschiedliche Streuung der Zuchtwerte (die Verhaltensmerkmale haben eine deutlich geringere Streuung) berücksichtigt wurde. Hierdurch ist es möglich, einen Zuchtwert von z. B. 105% bezüglich Honig direkt mit einem Zuchtwert von z.B. 80% bezüglich Schwarmneigung zu vergleichen.
Was sagt der Zuchtwert aus?
Der als Prozentwert ausgedrückte Zuchtwert gibt nun ganz konkret an, um wie viel Prozent das Volk genetisch dem Durchschnitt aller geprüften Völker über- oder unterlegen ist. Ein Wert von 100% bedeutet, dass das Volk genau dem Durchschnitt aller geprüften Völker entspricht. Ein Prozentwert von z. B. 80% drückt aus, dass dieses Volk um 20% unter dem Durchschnitt liegt und damit keine besonders guten Erbanlagen für dieses Merkmal haben dürfte.
Eine durch hohe Zuchtwerte ausgewiesene genetische Überlegenheit der selektierten Eltern wird auch bei den Nachkommen zu finden sein. Ein Volk mit einem Zuchtwert von 120% Honig wird (über seine Drohnen) an Jungköniginnen von der Mutter angepaart, für die ein Zuchtwert von 100% Honig geschätzt wurde. Was kann man von den Nachkommen erwarten? Sie werden im Durchschnitt eine um 10% (Mittelwert der Zuchtwerte der beiden Eltern (120% + 100%)/2 = 110%) höhere Honigleistung haben als der Durchschnitt aller Völker. Wem das zu kompliziert ist, braucht sich nur an eine sehr einfache Regel bei der Interpretation der Zuchtwerte zu halten:
Man selektiere die Völker, die bezüglich der interessierenden Merkmale den höchsten Prozentwert haben.
Zuchtwerte sind damit genau so einfach zu interpretieren wie die vertrauten Abweichungen vom Standmittel; aber die Auswahl der Völker wird sehr viel sicherer. Wichtig ist, dass man bei der Selektion nicht ausschließlich den Zuchtwert in einem einzigen Merkmal berücksichtigt, sondern die Zuchtwerte aller Merkmale beachtet. Bei der Durchsicht der Zuchtwertschätzergebnisse wird aber deutlich, dass es nur in Ausnahmefällen Völker gibt, die bezüglich aller Merkmale außergewöhnlich gute Zuchtwerte haben. Es liegt nun in der Hand des Züchters, bei welchem Merkmal er Kompromisse machen will. Ergänzend zu den Zuchtwerten sind für jedes Volk noch die Inzuchtkoeffizienten (in %) für die Königin und die Arbeiterinnen angegeben worden.
Ohne Messen kein Züchten
Durch folgende Maßnahmen kann der Züchter auf die Qualität der Zuchtwertschätzung Einfluss nehmen:
- Alle Völker (auch die schlechten) eines Prüfstandes bezüglich aller Eigenschaften beurteilen.
- Bei der Beurteilung der Verhaltenseigenschaften das gesamte Notenspektrum ausnutzen, mehrmals messen und den Durchschnitt aus den Bewertungen angeben.
- Völker von anderen Züchtern auf dem eigenen Stand prüfen und dafür eigene Völker bei anderen Imkern prüfen lassen. Wird auf mehreren Ständen geprüft, Geschwistervölker gleichmäßig auf verschiedene Stände verteilen.
- Vermehrt sollten Varroatoleranzmerkmale bei der Leistungsprüfung getestet werden. Liegen diese Daten in ausreichendem Maße vor, so kann auch für diese Merkmale eine Zuchtwertschätzung durchgeführt werden.
Sicherheit der Zuchtwertschätzung
Der Zuchtwert ist nur ein Schätzwert für den Erbwert eines Tieres. Schätzwerte können sehr sicher oder auch weniger genau geschätzt werden. Dies hängt bei der Zuchtwertschätzung im wesentlichen davon ab, von wie vielen verwandten Völkern Informationen zur Verfügung stehen. Hat ein Volk viele Vollgeschwister, stand es auf einer gut frequentierten Belegstelle (viele väterliche Halbgeschwister) und liegt eine vollständige Abstammung vor (viele Informationen von Vorfahren), so kann der Zuchtwert genau geschätzt werden. Liegen nur wenige Informationen von verwandten Völkern vor, so lässt die Sicherheit dieses Zuchtwertschätzergebnisses zu wünschen übrig.
Die Sicherheitskoeffizienten der Zuchtwertschätzung sind ein Maß für die Sicherheit der Ergebnisse. Die Sicherheit der Zuchtwertschätzung kann von 0 (keine Sicherheit) bis 1 (sehr hohe Sicherheit) schwanken. Beide Extreme sind selten. Die Sicherheit ist abhängig von der Anzahl der Informationsträger, den Verwandtschaftsbeziehungen und der Erblichkeit des jeweiligen Merkmals Der Informationsgewinn bei der Sicherheit der Zuchtwertschätzung nimmt mit zunehmender Größe der Geschwistergruppe nur unterproportional zu, so dass es wenig Sinn macht Geschwistergruppen von mehr als 8 Völkern zu testen.
Bei der Berechnung der Zuchtwerte nimmt die Sicherheit der Zuchtwertschätzung insofern Einfluss, indem aus viele Informationen berechnete und damit zuverlässigere Zuchtwerte, entsprechend stärker gewichtet werden.
Inzucht
Unter Inzucht versteht man die Paarung von verwandten Individuen. Bei verwandten Tieren ist mindestens ein Vorfahre identisch. Hierdurch besteht bei den Nachkommen die Möglichkeit, dass diese von Vater und Mutter abstammungsgleiche, d.h. identische Gene bekommen. Die Inzucht ist um so höher, je enger die Eltern miteinander verwandt sind. Das Ausmaß der Inzucht wird mit dem Inzuchtkoeffizienten angegeben. Der Inzuchtkoeffizient ist die Wahrscheinlichkeit für die Herkunftsgleichheit der beiden (vom Vater und der Mutter stammenden) Gene eines beliebigen Genortes. Er reicht von 0% (keine Inzucht) bis 100% (100% identische Gene). Im Gegensatz zu anderen Tierarten ist bei der Honigbiene die Inzucht sehr schwierig zu berechnen. Das liegt daran, dass die Königin von mehren Drohnen begattet wird und die Drohnen haploid sind. Die Berechnungsmethode für Bienen ist bei BIENEFELD et al. 1989, Apidologie 20:439-450) beschrieben.
Da Inzucht sich bei allen Tier und Pflanzenarten negativ auf Leistung und Krankheitsresistenz auswirkt, ist bei der Zuchtplanung Verpaarung von engen Verwandten zu vermeiden. Bei der Honigbiene kommt erschwerend hinzu, dass durch die Besonderheiten der Geschlechtsvererbung bei Inzucht vermehrt diploide Drohnen entstehen. Die unfruchtbaren diploiden Drohnen werden kurz nach dem Schlupf aus dem Ei von den Arbeitsbienen gefressen, was das typische Bild der Brutlücken im Brutnest entstehen lässt. Daraus folgt, dass die Inzucht der Arbeitsbienen das Bienenvolk stärker beeinträchtigt als die Inzucht der Königin.
Ab einem Inzuchtkoeffizienten von 15% sollte an "Blutauffrischung" gedacht werden.
Text übernommen aus Beebreed mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Kaspar Bienenfeld, Länderinstitut für Bienenkunde Hohen Neuendorf (26. Februar 2016).
Siehe auch Beebreed